Handlungsempfehlungen bei Technostress
In einem vorherigen Artikel haben wir uns bereits mit dem Thema Technostress am Arbeitsplatz beschäftigt. Dort haben wir vor allem die Gründe und Ursachen sowie die möglichen Folgen von Technostress beleuchtet. Gegen Ende des Artikels sind wir dann darauf eingegangen, welche Möglichkeiten Organisationen haben um Stress durch Digitalisierung, d.h. Technostress, vorzubeugen. Das Fazit: Möglichkeiten gibt es viele, sie müssen nur genutzt werden. In diesem Artikel wollen wir deshalb mögliche Handlungsspielräume und Chancen im Detail beleuchten.
Technostress und seine Ursachen
Zuerst möchten wir jedoch noch kurz die wichtigsten Details über Technostress wiederholen. Technostress ist ein in die Mode gekommener Begriff, um die negativen Auswirkungen von neuen Technologien oder Systemen auf unser psychisches Wohlbefinden zu beschreiben. Dies ist vor allem mit dem Hintergrund einer stetig steigenden Digitalisierung wichtig. Stress wird hierbei sowohl durch eine Informationsflut, zu viele Funktionen digitaler Systeme sowie durch übermäßige elektronische Kommunikation verursacht (Tarafdar et al., 2017). Daher ist ein freizeitbezogener als auch ein arbeitsplatzbezogener Technostress möglich. Der Artikel konzentriert sich primär auf die Handlungsmöglichkeiten von Organisationen im Umgang mit arbeitsbezogenen Technostress.
Festlegung von Erreichbarkeit und dienstliche Abgrenzung
Ständige Erreichbarkeit kann eine große Belastung im Arbeitsalltag darstellen. Egal ob dies nun während Meetings und Besprechungen, bereits am Weg zur Arbeit sowie gar zu später Stunde im Haushalt ist. In vielen Fällen werden Mitarbeiter*innen weiterhin via SMS, Mail oder per Anruf kontaktiert. Um diesen Umständen vorzubeugen, sollten Erreichbarkeiten im Vorhinein festgelegt werden, im besten Fall gibt es dazu zentrale und organisationsweit gültige Richtlinien (Ragu-Nathan et al., 2008).
Abhängig von der beruflichen Tätigkeit kann es natürlich immer wieder Notfälle geben – diese lassen sich nur schwer verhindern. Jedoch ist es wichtig im Vorhinein festzulegen, was denn genau als Notfall gezählt wird. Häufig gehen in dieser Frage die Meinungen auseinander zwischen Führungspersonen und deren Mitarbeitenden. Wie auch bei den Erreichbarkeiten innerhalb der Arbeitszeit ist also eine klare Unterscheidung zwischen Notfällen („dringliche Probleme, die sofort gelöst werden müssen“) und Angelegenheiten, die nur mäßige Dringlichkeit haben und daher auch warten können, nötig. Die Rolle von Führungskräften wird in diesem Artikel auch zu einem späteren Zeitpunkt hervorgehoben werden.
Reevaluieren der Zuständigkeiten
Eine klare Festlegung der Zuständigkeiten aller Mitarbeitenden in einem Team ist wichtig. Unklare Zuständigkeiten über Projektbeteiligungen sind in der Regel sowohl mit einem Informationsverlust (Informationen werden nicht adäquat weitergegeben) und übermäßiger Informationsweitergabe (zu viel Informationen für die falschen Personen) verbunden. Gerade eine übermäßige Informationsweitergabe mag aus organisationaler Sicht zunächst sinnvoll erscheinen, dennoch kann es dazu führen, dass betroffene Mitarbeiter*innen häufig durch Benachrichtigungen (z.B. Anrufe oder Erwähnungen im CC von Mails) und durch die Teilnahme an Meetings von anderen Aufgaben abgehalten werden (Harms et al., 2016).
Grundsätzlich ist der Gedanke, Mitarbeiter*innen laufend auf dem neuesten Stand halten zu wollen, gut gemeint, er hat jedoch auch seine Schattenseiten. Die Rede ist hierbei von allgemeiner Überlastung durch übermäßige Kommunikation und infolgedessen auch zusätzlicher Stress und Ablenkung. Ein Tipp ist daher, regelmäßig zu hinterfragen, ob die Teilnahme an einem weiteren Informationsfluss wirklich notwendig ist.
Neueinführungen und Systemumstellungen (H2)
Bei der Umstellung auf oder der Einführung von neuen technischen Systemen und Arbeitsprogrammen kann es vorkommen, dass sich bei den betroffenen Mitarbeitenden Frustration einstellt (Ayyagari et al., 2011). Unter Umständen, weil Programme nicht dieselben Funktionen bieten wie davor, unübersichtlich sind oder gar keine beziehungsweise nur eine unzureichende Einschulung stattgefunden hat. Mitarbeitende sollten daher bei dem Umstieg auf neue technische Systeme und Applikationen eine ausreichende Schulung erhalten. Bei Bedarf sollten unbürokratisch weitere Nachschulungen möglich sein.
Interne und externe Erhebungen
Um Mitarbeiter*innen im Umgang mit Technostress zu unterstützen und zugleich auch zukünftige Belastungen zu verhindern, ist es aus organisationaler Sicht wichtig, die Quellen für Stress zu identifizieren (Ayyagari et al., 2011). Stehen diese unter anderem im Zusammenhang mit Informationsüberlastung, fehlender Orientierung, ständiger Erreichbarkeit oder mit anderen Faktoren? Als mögliche Settings eignen sich organisationsinterne Erhebungen, aber auch das Hinzuziehen externer Experten ist denkbar. Erwähnenswert ist hier die gesetzliche Evaluierung von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz, beispielsweise durch erfahrene Arbeitspsycholog*innen, da diese neben dem Phänomen des Technostresses auch weitere psychische oder physische Belastungen im Rahmen des speziellen Verfahrens erheben und dadurch auf mögliche Lösungsansätze eingehen.
Workshops, Seminare und Fortbildungen
Basierend auf den Ergebnissen der Erhebungen und identifizierten Ursachen können Organisationen regelmäßige technische Trainings anbieten. Sie können aber auch am Stressempfinden und direkt an den Einstellungen ihrer Mitarbeitenden selbst ansetzen. Workshops und Seminare zum Thema Stressregulation und Stressmanagement, Resilienz sowie Erholungsmanagement sind hier nur einige Beispiele (Kröll et al., 2017).
Sowohl Erhebungen, seien sie intern oder extern durchgeführt, wie auch darauf aufbauende Weiter- und Fortbildungen können einen direkten positiven Einfluss auf Phänomene wie Technostress haben. Aus Expert*innensicht bietet jedoch die gemeinsame Abstimmung der organisationalen Maßnahmen den größtmöglich positiven Einfluss.
Nominierung von Ansprechpersonen
In den meisten Organisationen gibt es bereits Ansprechpersonen für gesundheitsrelevante betriebliche Themen. Beispiele hierfür sind spezielle Vertrauenspersonen, Betriebsrät*innen sowie Sonderbeauftragte. Analog dazu kann die Ernennung von Ansprechpersonen für Probleme mit digitalen Technologien erfolgen. Empfehlenswert sind hierfür Personen mit einem technischen Hintergrund oder mit Positionen an Schnittstellenfunktionen. Aufgabe besagter Personen könnte es sein, die Anliegen der Belegschaft im Zusammenhang mit Technologiethemen zu sammeln und an entsprechende Stellen weiterzuleiten. Für die Rolle der Ansprechperson kommen neben Mitarbeitenden aus der allgemeinen Belegschaft mit guter Vernetzung auch Betriebsrät*innen oder Mitarbeiter*innen mit einer HR-Funktion in Frage.
Rolle der Führungspersonen
Wie so häufig kommt Führungskräften bei den Themen Digitalisierung, Technologisierung und Technostress eine wichtige Schlüsselrolle zu (Rademaker et al., 2023). Führungskräfte können ihr Team auf vielfältige Weise unterstützen: von der Priorisierung eines gesundheitsbewussten Umgangs mit digitalen Medien bis hin zum Vorleben gesunder digitaler Gewohnheiten und der Thematisierung von digitalem Stress in Reflexionsgesprächen.
Technologieakzeptanz erhöhen
Ein als positiv wahrgenommener Umgang mit digitalen Technologien hat einen großen Einfluss auf unser Wohlbefinden am Arbeitsplatz. Häufig spielt Voreingenommenheit gegenüber digitalen Technologien eine zentrale Rolle in der Empfindung von Technostress. Unter Umständen können auch negative Vorerfahrungen dazu führen, dass wir eine geringere Bereitschaft dafür haben, uns mit etwas Neuem zu beschäftigen. Dies hat nachgewiesenermaßen einen negativen Einfluss auf unsere Zufriedenheit und unser Lernverhalten im Umgang mit digitalen Technologien. Ein möglicher Ansatzpunkt für Organisationen ist daher das Identifizieren von negativen Voreinstellungen gegenüber digitalen Technologien (Kim & Park, 2018). Dies kann am besten indirekt im Zuge von Team- und Reflexionsgesprächen erfolgen oder aber bei größeren Erhebungen direkt berücksichtigt werden. Nachdem dies erfolgt ist, können BGM-Maßnahmen gesetzt werden, die darauf abzielen, dauerhaft die Akzeptanz der Mitarbeiter*innen gegenüber digitalen Technologien zu erhöhen und deren Engagement mit Neuerungen zu erhöhen.
Feedbackboxen installieren
Das Aufstellen von Behältern zur Sammlung von Feedback oder sonstigen Anliegen ist eine Praxis, die bereits in einigen Organisationen gelebt wird. Der Vorteil hierbei besteht darin, dass Mitarbeitende möglichst anonym auf wahrgenommene Missstände aufmerksam machen und zugleich Verbesserungsideen aufzeigen können. Da das Feedback hierbei erwartungsgemäß sehr divers ausfallen kann, können Organisationen vorgefertigte Feedbackformulare zu relevanten Themenbereichen – so auch zu Technostress – vorbereiten.
Maßnahmen bündeln
Studien zeigen, dass Maßnahmen im BGM-Bereich umso effektiver sind, je mehr sie aufeinander abgestimmt werden (Aboelela et al., 2007; Daniels et al., 2021; Ryan et al., 2018). So wichtig es auch ist, dass Einzelmaßnahmen für die Förderung des psychischen Wohlbefindens im Umgang mit digitalen Technologien gesetzt werden, so sollten diese Maßnahmen auch Teil einer übergeordneten Strategie sein, um einen maximalen Effekt zu erzielen.
Fazit
Durch vorausschauendes Denken und Antizipieren von Belastungen können Organisationen negative Folgen der Nutzung digitaler Medien am Arbeitsplatz für das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter*innen verhindern oder zumindest abschwächen. Hebel an denen angesetzt werden kann, gibt es also genug. Wichtig ist es, dass die richtigen Maßnahmen gefunden werden und in die bestehenden organisationalen Strukturen optimal integriert werden.
Referenzen
Aboelela, S., Stone, P., & Larson, E. (2007). Effectiveness of bundled behavioural interventions to control healthcare-associated infections: a systematic review of the literature. Journal of Hospital Infection, 66(2), 101–108. https://doi.org/10.1016/j.jhin.2006.10.019
Ayyagari, N., Grover, N., & Purvis, N. (2011). Technostress: Technological antecedents and implications. MIS Quarterly, 35(4), 831. https://doi.org/10.2307/41409963
Daniels, K., Fida, R., Stepanek, M., & Gendronneau, C. (2021). Do multicomponent workplace health and wellbeing programs predict changes in health and wellbeing? International Journal of Environmental Research and Public Health, 18(17), 8964. https://doi.org/10.3390/ijerph18178964
Harms, P., Credé, M., Tynan, M., Leon, M., & Jeung, W. (2016). Leadership and stress: A meta-analytic review. The Leadership Quarterly, 28(1), 178–194. https://doi.org/10.1016/j.leaqua.2016.10.006
Kim, K., & Park, H. (2018). The effects of technostress on information technology acceptance. Journal of Theoretical and Applied Information Technology, 96(24), 8300-8312.
Kröll, C., Doebler, P., & Nüesch, S. (2017). Meta-analytic evidence of the effectiveness of stress management at work. European Journal of Work and Organizational Psychology, 26(5), 677–693. https://doi.org/10.1080/1359432x.2017.1347157
Ragu-Nathan, T. S., Tarafdar, M., Ragu-Nathan, B. S., & Tu, Q. (2008). The Consequences of technostress for end users in Organizations: Conceptual development and empirical validation. Information Systems Research, 19(4), 417–433. https://doi.org/10.1287/isre.1070.0165
Ryan, T., Rice, V., Saunders, J., & Limbrick, S. (2018). Measuring the effectiveness of workplace health management programs: An Australian example. Preventive Medicine Reports, 11, 56–62. https://doi.org/10.1016/j.pmedr.2018.04.018
Tarafdar, M., Cooper, C. L., & Stich, J. (2017). The technostress trifecta ‐ techno eustress, techno distress and design: Theoretical directions and an agenda for research. Information Systems Journal, 29(1), 6–42. https://doi.org/10.1111/isj.12169