Frauengesundheit im Fokus – ein Gespräch über Prävention, Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten

Dr. Marlene Heimberger ist Fachärztin für Allgemeinmedizin mit eigener Praxis in Steyr und begleitet Patient*innen in unterschiedlichen Lebensphasen. Ein besonderer Fokus ihrer Arbeit liegt auf Frauengesundheit – einem Thema, das sie in ihrer Ordination mit viel Erfahrung und Offenheit behandelt. Im Interview spricht sie über zentrale Themen der Frauengesundheit, Vorsorge und darüber, wie die Arbeitswelt dabei eine Rolle spielt.

 

Kim Kannler: Wir freuen uns sehr, dass Sie Ihre Perspektiven zum Thema Frauengesundheit mit uns teilen. Was hat Sie persönlich dazu bewegt, sich damit intensiver auseinanderzusetzen?

Dr. Marlene Heimberger: Ich bin Fachärztin für Allgemeinmedizin mit Spezialisierung in Psychosomatik und Sexualmedizin – im täglichen Arbeiten bin ich häufig mit Beschwerden wie Schlafstörungen, Erschöpfung und Schmerzsymptomen konfrontiert. Hier ist es meine Aufgabe ist, den Einfluss von körperlichen aber auch psychischen Faktoren auf die Beschwerden zu erkennen. Bei Frauen tauchte schnell die Frage auf, welchen Einfluss Hormone und der weibliche Zyklus grundsätzlich in Diagnostik und Therapie dieser Beschwerden haben. Um eine gezieltere Behandlung anbieten zu können, aber auch, um in meiner Ordination Raum für frauenspezifische Fragen zu schaffen, habe ich mich bewusst dazu entschieden, hier meinen Arbeitsschwerpunkt zu setzen. Psychische Beschwerden, wie zum Beispiel depressive Verstimmungen nach Geburt oder Probleme in der Sexualität werden oft aus Scham oder Unsicherheit nicht angesprochen – hier braucht es mehr Aufklärung auf Ärzte- und Patientinnenseite.
Absolut positiv hervorzuheben ist, dass Themen wie die Wechseljahre, aber auch sexualmedizinische Inhalte, nun auch in den Lehrplänen der Medizinunis verankert sind – ein wichtiger Schritt in eine zunehmend ganzheitliche Versorgung von Patientinnen.

 

Kim Kannler: Frauengesundheit bekommt also zunehmend mehr Aufmerksamkeit – und doch fehlen oft spezialisierte Angebote und klare Vorstellungen darüber, was damit überhaupt gemeint ist. Was umfasst der Begriff Frauengesundheit für Sie und welche Aspekte von Frauengesundheit liegen Ihnen dabei besonders am Herzen?

Dr. Marlene Heimberger: Für mich bedeutet Frauengesundheit nicht nur die Abwesenheit von Krankheit, sondern die Fähigkeit, die eigene Gesundheit aktiv zu gestalten und das körperliche und psychische Gleichgewicht zu fördern. Besonders sehe ich bei den Themen Ernährung, Mikronährstoffe, Darmgesundheit, Hormonhaushalt und Stoffwechselgesundheit bei Frauen einen wichtigen und effizienten Ansatz für Präventivmedizin, aber auch den Einsatz in der kurativen Medizin. Hier braucht es Forschung, damit diese Themen verstärkt in den leitliniengerechten Behandlungen Einsatz finden. In der Medizin streben wir nach immer besserer Versorgungs- und Behandlungsqualität – ich bin überzeugt, dass geschlechterspezifische Medizin zukünftig unsere Medizin maßgeblich positiv beeinflussen wird: Wenn wir Unterschiede in Symptomen, Krankheitsverläufen und Behandlungen zwischen Frauen und Männern erforschen und in der täglichen Arbeit anwenden, ist eine zielgenauere Medizin möglich.

Gesundheit ist ein lebenslanger Prozess, je bewusster Frauen ihn gestalten, desto mehr gewinnen Sie an Lebensqualität und Wohlbefinden.

Dr. Marlene Heimberger

Kim Kannler: Welche gesundheitlichen Themen werden aus Ihrer Sicht bei Frauen oft unterschätzt oder vernachlässigt?

Dr. Marlene Heimberger: Themen wie Wechseljahresbeschwerden werden von Patientinnen zunehmend benannt, ebenso Hormongesundheit und Stoffwechselgesundheit – hier fehlt es an Ausbildung und Fortbildungsangebot in medizinischen Berufen. Beschwerden, die die eigene Sexualität betreffen, sind weit verbreitet, werden aber noch zu selten thematisiert. Daneben sind sexualmedizinische Leistungen kein Teil des Krankenkassenangebotes und müssen privat finanziert werden.
Themen wie postpartale Depression, Traumata und auch unerfüllter Kinderwunsch sind noch zu oft Tabuthemen.

 

Kim Kannler: Was können Frauen selbst tun, um langfristig gut für ihre Gesundheit zu sorgen – körperlich wie mental?

Dr. Marlene Heimberger: Den wichtigsten Schritt sehe ich hier in der grundsätzlichen Entscheidung, sich selbst und seine Bedürfnisse wichtig zu nehmen. Nur so gelingt auch die Umsetzung einer „gesünderen“ Alltagsgestaltung. Zeit für sich haben zu dürfen und sich diese auch zu nehmen, Signale des Körpers ernst zu nehmen und sich medizinische Unterstützung zu holen. Be- und Überlastungen sollten früh erkannt und nicht bagatellisiert werden – sich hierbei Unterstützung zu holen ist ein Zeichen von Stärke. Gesundheit ist ein lebenslanger Prozess, je bewusster Frauen ihn gestalten, desto mehr gewinnen Sie an Lebensqualität und Wohlbefinden. Ja, es gibt viel zu tun, aber Frauen gewinnen dadurch auch viel.

Grundlegend sind Aufklärung, Information und Sensibilisierung über Zyklusgesundheit, hormonelle Übergangsphasen und deren Auswirkungen auf den Arbeitsalltag (...)

Dr. Marlene Heimberger

Kim Kannler: Viele Frauen bewegen sich täglich zwischen verschiedenen Rollen: im Job, als Partnerin, Mutter oder einfach in dem, was sie für sich selbst tun. Je nachdem, in welcher Rolle oder in welchem Lebensbereich man sich gerade bewegt, stehen ganz unterschiedliche Bedürfnisse, Herausforderungen und Prioritäten im Vordergrund. Gerade die Arbeit nimmt dabei einen zentralen Platz ein – sie kann Kraftquelle sein, aber auch zusätzlichen Druck erzeugen.
Wie erleben Sie die Auswirkungen der Arbeitswelt auf Frauengesundheit – besonders im Hinblick auf Erschöpfung und zyklusbedingte Beschwerden?

Dr. Marlene Heimberger: Arbeit ist ein absolut wichtiger Teil in den Lebensrealitäten von Frauen: Ermächtigung, Sinnstiftung und Selbstwirksamkeit sind positive Aspekte von Arbeit – zusätzlich soll hier auch (die oft nicht gesehene und monetär abgegoltene) Care-Arbeit erwähnt werden. Immer dann, wenn eigene Grenzen über zu lange Zeit überschritten werden, resultieren daraus negative gesundheitliche Folgen wie zum Beispiel Erschöpfung. Hier sind ein unterstützendes berufliches bzw. privates Umfeld, die Förderung von Arbeitszeitmodellen, die Raum für Gestaltung lassen, und ein achtsamer Umgang mit den eigenen Grenzen wichtige Präventivfaktoren.

 

Kim Kannler: Was können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber tun, um beim Thema Frauengesundheit zu unterstützen?

Dr. Marlene Heimberger: Flexible Arbeitszeitmodelle und Homeoffice bieten Frauen Möglichkeiten, um Alltag und Arbeitsleistung besser zu gestalten – ich denke hier insbesondere an zyklusbedingte Beschwerden, aber auch schmerzhafte Erkrankungen wie Endometriose, die oft zu Krankenständen führen. Angebote in Übergangsphasen zu schaffen, wie zum Beispiel der Zeit in oder nach der Schwangerschaft und den Wechseljahren. Grundlegend sind Aufklärung, Information und Sensibilisierung über Zyklusgesundheit, hormonelle Übergangsphasen (wie zum Beispiel die Wechseljahre) und deren Auswirkungen auf den Arbeitsalltag, ein offenes Gesprächsklima in Betrieben und die Ernennung von Gesundheitsvertrauenspersonen. Als positiven Impuls können Unternehmen erkennen, dass genau diese Bereitschaft auf gesundheitliche Aspekte der Mitarbeiterinnen Rücksicht zu nehmen, zu besserer Produktivität und Rückgang von Kündigungen und Krankenstandstagen führen kann.

 

Kim Kannler: Das alles setzt voraus, dass das Thema Frauengesundheit sichtbarer wird und auch gesellschaftlich mehr ins Bewusstsein rückt. Wird Ihrer Meinung nach in unserer Gesellschaft ausreichend über Frauengesundheit gesprochen? Was wünschen Sie sich hier?

Dr. Marlene Heimberger: Als Ärztin wünsche ich mir eine geschlechtersensible Medizin, die Frauen und Männer gleichermaßen berücksichtigt – differenziert hinzusehen und neues Wissen in den medizinischen Alltag zu integrieren. Neue Dinge brauchen Zeit, auch um Akzeptanz und Verständnis zu finden, es gibt noch viel zu tun!

 

Kim Kannler: Was möchten Sie abschließend Frauen mitgeben, die das Gefühl haben, sich selbst und ihre Bedürfnisse im Alltag oft hintenanzustellen?

Dr. Marlene Heimberger: Langfristig gesund und glücklich sind diejenigen, die nicht irgendwelchen Idealen hinterherlaufen, sondern eine gute Balance zwischen den oft vielen Rollen im Leben einer Frau finden – es gibt keine Perfektion, es geht um das Erkennen und Respektieren von eigenen Grenzen.
Und wir müssen reden. Uns austauschen und eine gemeinsame Sprache finden, damit vermeintliche Tabus in der Frauengesundheit irgendwann der Vergangenheit angehören.

Danke für das offene Gespräch und die Einblicke in Ihre Arbeit!

Frauengesundheit am Arbeitsplatz – was Unternehmen tun können

Gesundheit beginnt oft mit dem Gespräch – und mit einem Umfeld, das zuhört, sensibilisiert und unterstützt. Unternehmen können dabei eine wichtige Rolle spielen: durch gezielte Maßnahmen, Angebote zur Vorsorge und Räume für Austausch.

So können Unternehmen Frauengesundheit aktiv fördern:

  • Gesundheitstage mit Schwerpunkt Frauengesundheit
    Ein halber oder ganzer Tag mit gezielten Stationen – etwa mit psychologischer Beratung, medizinischer Vorsorge oder individueller Ernährungsempfehlung – macht das Thema greifbar und sorgt für niederschwellige Zugänge. Ein guter Einstieg, um Aufmerksamkeit zu schaffen und erste Impulse zu setzen.

  • Workshops zu frauenspezifischen Gesundheitsthemen
    Zum Beispiel zu Stress & Erschöpfung, Selbstfürsorge & Resilienz oder Kommunikation im Team – sensibel und klar auch bei gesundheitlichen Anliegen. Unsere Workshops schaffen Wissen, fördern Austausch und bieten praxisnahe Strategien für den beruflichen Alltag. Die Inhalte können auf bestimmte Zielgruppen oder Führungskräfte abgestimmt werden.

  • Maßgeschneiderte Programme mit nachhaltiger Wirkung
    Begleitung über mehrere Wochen oder Monate – etwa mit einer Kombination aus Vorträgen, Videos oder Beratungseinheiten – ermöglicht es, das Thema nachhaltig im Arbeitsalltag zu verankern.

Wir von WPH unterstützen Sie gerne dabei, Frauengesundheit im Arbeitskontext präventiv zu stärken – mit passgenauen Formaten, fundierter Beratung und langjähriger Erfahrung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung.

Interview & Redaktion

Dr. Kim Kannler

Projektmanagerin

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