Autor: Carmen Ott-Meissl
Return on Prevention: Investitionen in die Prävention psychischer Gesundheit zahlt sich aus
Wir wissen, die Arbeitswelt befindet sich bereits seit einigen Jahren im Wandel – viele unterschiedliche Herausforderungen treffen dabei aufeinander: Auf der einen Seite hat der „war of talents“ begonnen – Fachkräfte werden in allen Branchen händeringend gesucht, denn schon jetzt wechselt eine Vielzahl an Arbeitnehmer/-innen in den wohlverdienten Ruhestand und in den kommenden Jahren werden es noch mehr – und auf der anderen Seite nimmt die Arbeitsbelastung immer mehr zu. Besorgniserregend ist insbesondere, dass neben den körperlichen, es zunehmend die psychischen Belastungen sind, die den Menschen zusetzen und somit die Anzahl der Krankenstände aufgrund psychischer Erkrankungen steigen lässt. Die krankheits- und unfallbedingten Fehlzeiten steigern nicht nur das menschliche Leid, sondern verursachen auch erhebliche Kosten für die Wirtschaft und das Sozialsystem, da das Produktionspotenzial nicht ausgeschöpft werden kann.
Nun kann mit der Zunahme von Krankenständen aufgrund psychischer Erkrankungen unterschiedlich umgegangen werden: reaktiv oder präventiv. Schon im Vorhinein können Unternehmen auf belastete Mitarbeiter/-innen zugehen und mittels präventiver Maßnahmen die psychischen Fehlbelastungen verringern bzw. die Arbeitsbedingungen verbessern. Verständlicherweise stehen einige Unternehmen dem kritisch gegenüber, denn es bedeutet auch, Kosten zu stemmen, ohne wirklich zu wissen, ob Krankheitsfälle eingetreten wären. Im Folgenden werden wir untersuchen, ob und in welchem Ausmaß sich Prävention in die psychische Gesundheit auszahlt.
Steigende Anzahl an Krankheitsfällen psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz
Für das Jahr 2020 publizierte der Dachverband der Sozialversicherungsträger eine Krankenstandsstatistik, laut dieser verbrachten Arbeitnehmer/-innen im Jahresverlauf durchschnittlich 12,7 Kalendertage im Krankenstand (Dachverband der Sozialversicherungsträger, 2021). Positiv hervorzuheben ist, dass es sich dabei um 4,2% weniger Krankenstandstage als 2019 handelt (Mayrhuber & Bittschi, 2021). Es sticht jedoch hervor, dass der Anteil der psychischen Erkrankungen nach einer Stagnation erneut gestiegen ist – in den Jahren 2019 und 2020 wurde ein Anstieg um je rund 8,5% verzeichnet. Werfen wir einen Blick zurück, stellen wir fest, dass sich seit Mitte der 1990er-Jahre die Zahl der Krankenstandstage infolge psychischer Erkrankungen mehr als verdreifacht hat. Zudem fällt auf, dass die Dauer der Fehlzeiten bei den psychischen Erkrankungen sehr lange ist. Es ist mit einer Absenz von 31,6 Tagen zu rechnen, wobei es innerhalb dieser Diagnosegruppe noch einmal deutliche Unterschiede gibt (Mayrhuber & Bittschi, 2021).
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) klärt auf, dass es insofern eine Veränderung im Erkrankungsgeschehen gibt, als dass psychische Erkrankungen weltweit zunehmen. Es wird prognostiziert, dass in den Industriestaaten bis zum Jahr 2030 die psychischen Erkrankungen zu den häufigsten Erkrankungen zählen werden, neben Herz-Kreislauf- und Muskel-Skelett-Erkrankungen. Schon jetzt ist der Behandlungsbedarf in diesem Bereich groß und wird in Zukunft weiter steigen (WHO, 2021).
Krankenstände verursachen tangible und intagible Kosten
Die steigende Anzahl an Krankenständen aufgrund psychischer Erkrankungen lässt auch die direkten sowie indirekten Kosten anwachsen – sowohl für die Betroffenen selbst als auch für Unternehmen, Gesellschaft und Volkswirtschaft (Rechnungshof, 2019; Leoni, Brunner, Mayrhuber, 2020). Durch verringerte Produktivität, erhöhte Arbeitsplatzabwesenheiten, Sozialausgaben und direkte Kosten für die Gesundheitssysteme summieren sich die Gesamtkosten psychischer Erkrankungen auf mindestens 4% der Wirtschaftsleistung (OECD, 2021B).
Konkret auf Unternehmen bezogen bedeutet die Abwesenheit von Mitarbeiter/-innen aufgrund psychischer Erkrankungen, dass neben direkten Kosten wie Lohnfortzahlung auch weitere Anpassungskosten entstehen, um Arbeitnehmer/-innen zu ersetzen. Dies können beispielsweise Kosten durch Überstunden anderer Mitarbeiter/-innen, Einstellung von Leiharbeitskräften oder die Einstellung einer Ersatzarbeitskraft im Falle eines dauerhaften Ausfalls, aber auch Versicherungsprämien, Produktionsstörungen und Verwaltungskosten sein (Leoni, Brunner & Mayrhuber, 2022). Zudem kommen indirekte Kosten wie beispielsweise Qualitätsverminderung, Reputationskosten oder erhöhte Fluktuation zum Tragen, welche oftmals irreparabel sind und auch erst zu einem späteren Zeitpunkt eintreten.
Prävention als Notwendigkeit & Investition in die Zukunft
Wie eingangs schon erwähnt, stehen Unternehmen vor der Ungewissheit, ob sich Investitionen in Prävention auch wirklich lohnen. Denn was wäre, wenn auch ohne präventive Maßnahmen die eigenen Mitarbeiter/-innen nicht durch psychische Überlastung in den Krankenstand müssten? Dann hätten angefallene Kosten gespart werden können. Die Gegenfrage lautet aber auch: Welche Kosten hätte ein Unternehmen verhindern können, hätte es in Prävention investiert und die Anzahl der Krankenstände aufgrund psychischer Erkrankungen wäre auf einen Bruchteil reduziert?
Diese spieltheoretischen Fragestellungen können gerne weitergesponnen werden, allerdings gilt es als belegt, dass empirische Befunde einen positiven ökonomischen Nutzen von Frühintervention und Re-Integrationsprogrammen zeigen (Mayrhuber & Bittschi, 2021).
Neben den aufgeschlüsselten hohen Kosten, die bei krankheitsbedingten Ausfällen von Arbeitnehmer/-innen anfallen, ist zudem der demographische Wandel (auch) in der Arbeitswelt zu betrachten, denn wir haben es mit einem steigenden Anteil älterer erwerbstätiger Erwachsenen zu tun. Dabei sollten jedenfalls präventive Maßnahmen zunehmen, um das produktive Erwerbspotenzial auch in Zukunft ausschöpfen zu können und somit Kosten aufgrund von Arbeitsunfähigkeit möglichst gering zu halten. Die strukturellen Veränderungen der Arbeitsanforderungen und Arbeitsbelastungen sowie die Notwendigkeit eines späteren Erwerbsaustrittszeitpunkts in einer alternden Gesellschaft erhöhen den Bedarf gesundheitsfördernder und präventiver Maßnahmen (Mayrhuber & Bittschi, 2021).
Insbesondere die Zunahme sowie die Verteilung der Krankenstände aufgrund psychischer Fehlbeanspruchung und die länger andauernden Fehlzeiten verdeutlichen die Notwendigkeit von Frühinterventionen wie auch Wiedereingliederungsmaßnahmen. Allerdings kommt es bei psychischen Erkrankungen nicht notwendigerweise zu Abwesenheiten und Fehlzeiten im Betrieb. In diesem Zusammenhang verdeutlicht die Literatur den notwendigen Ausbau von Monitoringsystemen und Frühintervention am Arbeitsplatz. Analysen von Wiedereingliederungsprogrammen zeigen deutlich, dass mit fortschreitender Krankheit und steigenden Fehlzeiten die Effektivität von Re-Integrationsmaßnahmen sinkt. Die Forschung zeigt auf, dass gesundheitliche Probleme umso wahrscheinlicher irreversibel sind, je später die ersten Interventionen gesetzt sind (Mayrhuber & Bittschi, 2021).
Es ist wie ein Kreis, der sich schließt: Die Arbeitsunfähigkeit von Arbeitnehmer/-innen aufgrund psychischer Erkrankungen nimmt zu, gleichzeitig werden die Erwerbspersonen immer älter, der „Gap“ wird größer zwischen Personen, die den Arbeitsmarkt verlassen und Personen, die in den Arbeitsmarkt eintreten. Es entwickelt sich schlichtweg eine Verknappung des Arbeitskräftepotenzials. Daher ist es umso wichtiger, gesundheitsfördernde Maßnahmen am Arbeitsplatz zu verstärken, um die Anzahl der Arbeitnehmer/-innen sowie deren Produktivität nicht noch mehr zu verringern – dies schadet den Unternehmen und der gesamten Volkswirtschaft.
„Return of Prevention“ bzw. Kosten-Nutzen-Rechnung als Entscheidungsgrundlage
Schlussendlich obliegt es der Unternehmensführung ein explizites Budget für Interventionen zur Verbesserung und Beibehaltung der psychischen Gesundheit für Arbeitnehmer/-innen freizugeben. Auch wenn sich wissenschaftliche Erkenntnisse positiv für Prävention aussprechen, so orientiert sich das Management bei der Entscheidung oftmals an Kosten-Nutzen-Rechnungen bzw. an Kennzahlen. Im vorliegenden Fall kann die Kennzahl „Return on Prevention“ (ROP) bei der Entscheidungsfindung herangezogen werden. Dabei handelt es sich um das Verhältnis des Präventionsnutzens zu den Präventionskosten und zeigt den ökonomischen Erfolg von Investitionen in den betrieblichen Gesundheitsschutz (DGUV, 2013). Mithilfe dieser Kennzahl kann vermittelt werden, in welchem Ausmaß sich Prävention für Unternehmen lohnt.
Momentan gibt es noch keine allgemeingültige Formel, wenn es um die Berechnung der Kosten und des Nutzens von präventiven Maßnahmen für die psychische Gesundheit geht. Dennoch können sich Ansätze ableiten lassen: Zuallererst ist zwischen direkten, indirekten und nicht monetarisierbaren Kosten- und Nutzenfaktoren zu differenzieren. Dabei zeigt sich, dass sich die Berechnung der direkten und indirekten Kosten als einfach darstellt – gemessen an der Berechnung des Nutzens.
Es ist wichtig zu betonen, dass es sich hierbei um eine Berechnung auf der Metaebene handelt, die als allgemeine Orientierung dienen soll. In einem kommenden Blogartikel soll anhand eines Beispiels die Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen einer Intervention zur Förderung der psychischen Gesundheit von Arbeitnehmer/-innen ausführlicher berechnet werden.
In einem unserer weiteren Beiträge haben wir ein konkretes Praxisbeispiel mit möglichen Kennzahlen berechnet.
Abschließende Worte
Unternehmen stehen vor zunehmenden Herausforderungen aufgrund des fortlaufenden Arbeitswandels und müssen nicht nur die eigenen Produkte und Dienstleistungen konkurrenzfähig gestalten, sondern zugleich dafür sorgen, dass das dafür erforderliche Personal überhaupt entdeckt, gehalten und gesund arbeiten kann.
Die Investitionen in Prävention psychischer Gesundheit zahlt sich aus. Die Forschung bekräftigt die Bedeutsamkeit von Prävention für Arbeitnehmer/-innen – vor allem im Hinblick auf die steigende Anzahl von psychischen Erkrankungen. Unternehmen sollen verstehen, dass sie einen wichtigen Teil dazu beitragen können, um die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter/-innen zu fördern.
Falls die wissenschaftlichen Argumente für Prävention, wie sie eingangs erläutert wurden, Unternehmen allein nicht überzeugen können, so kann möglicherweise die Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen als hilfreiche Entscheidungsgrundlage dienen. Die Kennzahl „Return on Prevention“ (ROP) ist ein noch junger und zugleich vielversprechender Ansatz um eine betriebswirtschaftliche Ansprache zu bedienen.
Referenzen
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Dachverband der Sozialversicherungsträger (2021). Statistisches Handbuch der österreichischen Sozialversicherung 2021. Verfügbar unter: https://www.sozialversicherung.at/cdscontent/load?contentid=10008.771528&version=1666185081
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DGUV (2013). Berechnung des internationalen „Return on Prevention“ für Unternehmen: Kosten und Nutzen von Investitionen in den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz. DGUV Report 1/2013. Verfügbar unter: https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/2799
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Leoni, Th., Brunner, A., Mayrhuber, Ch. (2020). Die Kosten arbeitsbedingter Unfälle und Erkrankungen in Österreich. WIFO. Verfügbar unter: https://wien.arbeiterkammer.at/service/studien/Arbeitnehmerschutz/WIFO-Studie_Die_Kosten_arbeitsbedingter_Erkrankungen_2020.pdf
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Mayrhuber, C. & Bittschi, B. (2021). Fehlzeitenreport 2021: Krankheits- und unfallbedingte Fehlzeiten in Österreich; Frühintervention, Wiedereingliederung und mentale Gesundheit. Verfügbar unter: https://news.wko.at/news/oesterreich/FZR-Fehlzeitenreport_2021.pdf
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OECD (2021B). Report on the Implementation of the OECD Recommendation on integrated Mental Health, Skills and Work Policy, (102).
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Rechnungshof (2019). Versorgung psychisch Erkrankter durch die Sozialversicherung, Bericht des Rechnungshofes (Reihe Bund 2019/8).
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STATISTIK AUSTRIA (2022). Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung Ad-hoc-Modul 2020: „Arbeitsunfälle und arbeitsbezogene Gesundheitsprobleme“. Verfügbar unter: https://www.statistik.at/statistiken/arbeitsmarkt/arbeit-und-gesundheit/arbeitsunfaelle-arbeitsbezogene-gesundheitsprobleme