Autor: Daniel Ott-Meissl
New Work eigentlich doch Oldschool?
Der derzeit spürbare Trend zu „New Work“ ist in aller Munde. Die Idee hinter dem Begriff ist rasch zusammengefasst: New Work steht für moderne Arbeitsweisen, welche die Flexibilität, Selbstbestimmung oder Kreativität in den Vordergrund stellen und darauf abzielen, Arbeit sinnstiftender zu gestalten. Tatsächlich „infiltriert“ dieses Verständnis von Arbeit bereits seit Jahren diverse Organisationen in den unterschiedlichsten Branchen. Beinahe wird der Ausdruck im Alltagssprachgebrauch verwendet. Wie neu ist „New Work“ tatsächlich? Ein differenzierter Blick.
Ursprünge von New Work
New Work ist ein englischer Begriff, der übersetzt zunächst einmal lediglich „Neue Arbeit“ bedeutet. Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass dieses Konzept auf den Philosophen Frithjof H. Bergmann zurückgeht. Dabei hat sich Bergmann vor allem in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts intensiv mit den Vor- und Nachteilen der vorherrschenden, gesellschaftlichen Systeme – namentlich Sozialismus und Kapitalimus – auseinandergesetzt.
Er gelang zu der Erkenntnis, dass der Sozialismus keine Zukunft mehr habe und es darüber hinaus ein Gegenmodell zum Kapitalismus benötige: Die Idee zu New Work mit den damit verbundenen Wertesystemen war geboren.
Die zentralen Charakteristiken des Konzepts hinter New Work sind die Selbstständigkeit, die Freiheit und die Teilhabe jedes Einzelnen an der Gemeinschaft. Die Ziele lauten in diesen Zusammenhang, dass wir als Gesellschaft vermehrt Freiräume für Kreativität und Entfaltung der eigenen Persönlichkeit bieten sollen. Mit dem übergeordneten Ziel, dadurch auf mittel- bis langfristige Perspektive hin tatsächlich wichtige und wesentlichen Nutzen für das Individuum als auch für die Gesellschaft als Ganzes zu ermöglichen.
New Work gekommen um zu bleiben?
Wir schreiben das Jahr 2023: In Zeiten von multiplen Krisen und rasanten technologischen Entwicklungen sind wir alle, mehr oder weniger, zusätzlich mit dem Megatrend „Arbeitswandel“ beschäftigt. Dieser Wandel beschreibt die tiefgreifenden Veränderungen, die in der Arbeitswelt stattfinden und sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten voraussichtlich noch verstärken werden.
New Work wirkt in diesem Zusammenhang wie DIE gesuchte Antwort, welche als moderne Gesellschaft im globalen und digitalen Zeitalter Lösungsansätze für komplexe Herausforderungen verspricht. Heute können wir den Trend New Work bereits als breite „Bewegung“ einordnen. Dies war vor rund 50 Jahren freilich nicht der Fall, wäre aber wohl ganz im Sinne von Bergmann gewesen.
Eine Frage der Arbeitsgestaltung
Die Idee von New Work sensu Bergmann lässt sich demnach auf verschiedenen Ebenen einordnen. Der Sozialphilosoph selber hat sich besonders auf die soziologischen und psychologischen Merkmale fokussiert, welche es zu verbessern und zu entwickeln gilt. Zwei zentrale Fragen können in diesem Zusammenhang gestellt werden:
• Wie muss nun Arbeit bzw. wie müssen Arbeitsbedingungen konkret gestaltet werden, damit wir die Idee von New Work nicht nur herbeisehnen, sondern ihr tatsächlich nahekommen?
• Wer soll denn aktiv an dieser Gestaltung und Weiterentwicklung im Unternehmenskontext beteiligt sein?
Eine mögliche Antwortet könnte lauten – aus arbeits- und organisationspsychologischer Perspektive:
Mithilfe von bereits etablierten und erprobten Modellen und Methoden der Prävention am Arbeitsplatz und unter Einbezug von einschlägigen FachexpertInnen, denn das Wissen von „menschengerechter Arbeitsgestaltung“ ist keineswegs neu. Darüber hinaus sollten auch Überforderung für Organisation und Mensch nicht unterschätzt werden. Die zugrundeliegenden arbeitswissenschaftlichen, theoretischen Modelle sind teilweise bereits ähnlich lange existierend, wie Bergmann’s initiierte Bewegung zu New Work.
Zwei ausgewählte Beispiele:
1) Job-Characteristics-Modell nach Hackman & Oldham (1975)
Die zentrale Aussage lautet hierbei, dass Arbeitsaufgaben gewisse Merkmale beinhalten, um motivations- und leistungsfördernd zu wirken sowie dem Arbeitsplatzinhaber individuelle Entfaltungsmöglichkeiten bei der Arbeit zu bieten. Dabei werden diese fünf zentralen Aufgabenmerkmale näher analysiert:
• Anforderungsvielfalt („Skill variety“)
• Ganzheitlichkeit der Aufgabe (Aufgabenidentität – „Task identity“)
• Wichtigkeit der Aufgabe („Task significance“)
• Autonomie („Autonomy“)
• Rückmeldung („Feedback from the job“)
2) Vollständige Aufgaben nach Ulich (2001)
In diesem Modell lautet die zentrale Aussage, dass vollständige Tätigkeiten als „ideal“ zu bezeichnen sind. Dabei werden folgende Aspekte verstanden:
• Das selbstständige Setzen von Zielen, die in übergeordnete Ziele eingebettet werden können
• Selbstständige Handlungsvorbereitungen im Sinne der Wahrnehmung von Planungsfunktionen
• Auswahl der Mittel einschließlich der erforderlichen Interaktion zur adäquaten Zielerreichung
• Ausführungsfunktionen mit Ablauffeedback zur allfälligen Handlungskorrektur
• Kontrolle mit Resultatfeedback und der Möglichkeit, Ergebnisse der eigenen Handlungen auf Übereinstimmung mit den gesetzten Zielen zu überprüfen
Bei „unvollständigen“ Aufgaben hingegen könnte die negative Konsequenz sein, dass das eigenständige Setzen von Zielen und die Entwicklung eigener Arbeitsweisen oder entsprechende Rückmeldung fehlt. Überdies können auch „klassische“ negative Outcomes wie verminderte Produktivität, geringe Arbeitszufriedenheit, Passivität und Abbau der individuellen Leistungsfähigkeit, erhöhte Abwesenheits- und Fluktuationsquote ins Treffen geführt werden.
Risiken und Nebenwirkungen
Obwohl das Prinzip von „New Work“ auf den ersten und zweiten Blick durchaus Vorteile bietet, dürfen gewisse Risiken oder Nachteile, nicht außer Acht gelassen werden:
- Flexibilität kann zu Fehlbeanspruchung führen: Die Möglichkeit, von überall aus zu arbeiten und flexible Arbeitszeiten zu haben, kann dazu führen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Schwierigkeiten haben, Arbeit und Freizeit voneinander zu trennen. Das kann zu Arbeitsüberlastung und Erschöpfung führen.
- Einsamkeit und Isolation möglich: Remote-Arbeit und digitale Arbeitsplattformen können dazu führen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich isoliert und einsam fühlen, da sie nicht mehr so oft in direktem Kontakt mit KollegInnen und Vorgesetzten stehen.
- Ungleichheit erhöhend: Falls sich der Trend gesellschaftlich fortsetzen sollte, könnte die Kluft zwischen gut qualifizierten ArbeitnehmerInnen mit flexiblen Arbeitsbedingungen und gering qualifizierten ArbeitnehmerInnen, die etwa in prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten, noch weiter öffnen.
Manche KritikerInnen bezeichnen „New Work“ bereits als eine Ideologie der heutigen Zeit, die dazu beitragen soll, dass sich ArbeitnehmerInnen mehr mit ihrem Arbeitgeber identifizieren und ihre Arbeit als sinnstiftend empfinden sollen, während sie tatsächlich nur noch mehr Arbeit und Verantwortung auf sich zu nehmen haben.
Win-Win für alle Beteiligten?
Das Verstehen und Anwenden von arbeitspsychologischen Modellen kann positive bzw. wünschenswerte Effekte zur Folge haben:
Der/die Arbeitsplatzinhaber/in erlebt die Bedeutsamkeit der eigenen arbeitsbezogenen Tätigkeit, er oder sie trägt die Verantwortung für das Arbeitsergebnis und entwickelt das Wissen um die Ergebnisse kontinuierlich weiter.
Empfehlenswerte Methoden – sofern sie fachlich kompetent begleitet und zusammen mit dem Arbeitgeber abgestimmt werden – sind die allgemeine, arbeitspsychologische Beratung für Verantwortliche in Organisationen. Idealerweise verschränkt mit einer dezidierten Unternehmensbefragung, möglicherweise eingebettet in einer ohnehin gesetzlich erforderlichen, regelmäßigen Arbeitsplatzevaluierung.
Die Einführung ausgewählter „New Work“-Konzepte in die Organisation kann den Beteiligten eines gemeinsamen Arbeitssystems einige Vorteile bieten. Es kann sich daher lohnen, in entsprechende Vorhaben bzw. Veränderungen zu investieren, um die eigene und tägliche Arbeit in Richtung „New Work“ zu entwickeln – und nicht nur darüber zu philosophieren!